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Nicht hier, nicht jetzt

"Nicht hier, nicht jetzt" Flashanimation 2004

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Über einen Beamer wird die Beschreibung eines Raumes in kurzen Sätzen an die Wand projiziert. Die Schrift erscheint schwarz auf hellgrauem Grund wie bei einem Newsticker buchstabenweise bis zwei Zeilen zu sehen sind. Dann setzt die Schrift erneut an, jedoch an einer zufälligen anderen Stelle der Projektionsfläche. Über Lautsprecher sind verschiedene Umweltgeräusche zu hören: Wind, Regen, eine Baustelle, klassische Musik, streitende Frauen, Kinder, Autos.

Textauszug:
Das Licht in diesem Raum ist kühl, als würde ein großer Laubbaum vor den Fenstern stehen. Der Raum hat drei Fenster und eine Türe. Zwei Fenster befinden sich rechts von der Türe, eines geradeaus, wenn man in den Raum tritt. Nein. Der Raum hat nur ein Fenster und draußen ist ein unbekannter Laubbaum. Es ist windig draußen, es ist auch hier drinnen windig, weil ein Fenster offen steht. Nein. Draußen ist es windig, das ist richtig, aber hier drinnen zieht es nur ein wenig und außerdem ist es Nacht und ein Ast des unbekannten Laubbaumes schlägt gegen das Fenster. Ja, jetzt ist es Nacht, ein tiefer und klarer See, dessen Wasser man atmen kann. Zwischen den Ästen des Laubbaumes sieht man die Sterne, wenn man auf dem Boden liegt und aus dem Fenster schaut. Da ist auch die Sonne, fein gesponnene Lichtnetze, weit fort, weit fort, eine große einsame Welt unter einer alt und ruhig gewordenen Sonne. Diese Sonne malt schwankende Schatten auf den Boden. Das Licht ist jetzt grün-golden. Nein. Es ist später Nachmittag, man hat geschlafen und vielleicht etwas geträumt, das die Sentimentalität genährt und die Motivation für was auch immer geschmolzen hat. Man ist erwacht durch den Wind, der plötzlich tief und laut in dem Laubbaum rauscht. Es ist Sommer und ein Gewitter zieht herauf.Zwischen diesen Wänden hier steht noch die Hitze der letzten Tage, aber schon fließt kältere und erfrischende Luft über den Boden. Es wird immer dunkler als wäre das schon die Dämmerung. Nein. Nicht, als wäre es die Dämmerung! Dieses Licht ist anders - das Gewitterlicht, es ist keine Dämmerung, denn während in der Dämmerung die Geister deutlicher reden und man seltsame Träume über Gewalt und Fleisch und Blut träumt, ist dieses Gewitterlicht ruhiger und wirklicher, zumindest in diesem Raum hier.

"Nicht hier, nicht jetzt" beschreibt in Textbildern einen Raum, ein Zimmer, eine Kammer. Dieser Raum ist nirgendwo und überall. Es ist ein Raum der körperlichen, unerträglichen Nähe wie der romantischen, blauen Ferne. Es ist ein Landschaftsbild. Der Betrachter liest die Beschreibung eines Raumes in einem Raum. Wind weht draußen, es regnet, man hört Baustellengeräusche, Vögel. Die Atmosphären wechseln, die Landschaften wechseln und jeder Versuch der Formulierung scheitert am nächten Augenblick, der nächsten Schicht, dem nächsten Layer. Verschachtelungen. Der "reale" Raum fließt ebenso in die Beschreibung ein, das heißt der Raum, in dem sich der Betrachter zum Zeitpunkt einer Ausstellung dieser Arbeit befindet.

Die Beschreibung des Raumes widerspricht sich ständig. Mal hat der Raum ein Fenster mal drei, mal zieht es, weil ein Fenster offen steht, mal ist das Fenster geschlossen, mal ist der aktuelle Augenblick gemeint, dann wieder irgendeine Vergangenheit, die Monate zurück liegen kann oder Jahre. Immer wieder werden Spuren gelegt die sich verlieren oder in die falsche Richtung weisen, Bilder entstehen, Vorstellungen werden evoziert und Vorzeichen gewechselt. Zeitgleich werden verschiedene Tonaufnahmen eingeblendet, die immer wieder andere Räume und Atmosphären suggerieren: Wind in großen, alten Bäumen. Regen. EIne Baustelle und Vogelgesang. Es kann und soll kein konsistentes Bild entstehen.

Allein die KONSTELLATION ist stets die gleiche: Innenraum - Zwischenraum - Außenraum. Das sind die Parameter, die diese Arbeit in der Hauptsache durchziehen: Der Körper im Raum, der Raum, der den Körper umgibt, der Raum, der den Körper ausfüllt. Und dann natürlich die Bilder, die in der Vorstellung des Betrachters entstehen: Der Blick aus den Augen hinaus auf die Bilder. Der Blick in den Körper auf die Bilder. Die Bilder im Kopf und davor.

Thorsten Hallscheidt, "Nicht hier, nicht jetzt" Flashanimation 2004

Installationsansicht, Wunderkammer,
Stuttgart, 2004