Krieg - Video zu "Krieg" von Rainald Götz im Heidelberger Theater
Das Video war Teil der Inszenierung des Theaterstücks "Krieg" von Rainald Götz, das im Heidelberger Theater unter der Regie von Marc Becker inszeniert wurde.
Presse:
Achterbahnfahrt Deutschland
Rainald Goetz’ Stück „Krieg“ im Heidelberger Theater – Schwindel erregender Trip durch Sprache und Geschichte – Regie: Marc Becker
Nur „Bier bleibt Bier“ in Rainald Goetz’ „Krieg“. Ansonsten bleibt in diesem Stück, das in der Inszenierung von Marc Becker im Heidelberger Theater Premiere hatte, kaum ein Stein auf dem anderen. Wie bei einer rasanten Achterbahnfahrt fliegen dem Zuschauer die Sinnfetzen nur so um die Ohren. Dennoch setzen sich die Wort- und Bildbruchstücke im Kopf wieder zusammen: Es Geht bei dieser Schwindel erregenden Berg- und Talfahrt um Deutschland. Aber anders als im Freizeitpark, wo die Hauptbeschleunigung zu Beginn erfolgt, erreicht „Krieg“ gegen Ende seine Höchstgeschwindigkeit: in einem Videorausch von Bildblitzen – ein bisschen so wie bei der finalen Reise durch Raum und Zeit in Stanley Kubricks Kino – Oper „2001: Odyssee im Weltraum“.
„Maximale Wirrnis“
Der Theatertrip führt in die unübersichtlichen und merkwürdig stagnierenden achtziger Jahre. Das Stück „Krieg“ aus dem Jahre 1986 gehört – wie auch die Teile „Schlachten“ und „Kolik“ – zur gleichnamigen Trilogie, für die Rainald Goetz 1988 den Mülheimer Dramatikerpreis erhielt. Im gleichen Jahr zeigte das Schauspiel Bonn – die Uraufführungsbühne – den Trilogien - Teil „Kolik“ beim Heidelberger Stückemarkt. Aber die jetzt in „Krieg“ formulierte Zielsetzung der „maximalen Wirrnis“ funktioniert offenbar noch heute.
In den achtziger Jahren fand der Übergang von der Moderne zur Postmoderne statt. Das bis dahin gültige vernunftbestimmte Weltbild löste sich in vielfältige neue Perspektiven auf. Und diesen mentalen Umbruchprozess bildet „Krieg“ ab. Überlieferte Sinnstrukturen zerbrechen und vermischen sich: Alltag und Kultur, Geschichte und Gegenwart, Kollektivität und Individualität fließen ineinander.
Schon die Namen der Stückfiguren – Stammheimer, Stockhausen, Heidegger – führen mitten hinein in die dargestellte, typisch deutsche Melange aus Genialität und Katastrophe. Allerdings haben die auftretenden Gestalten kaum etwas mit den geschichtsträchtigen Bedeutungen dieser Namen zu tun, die sie als Rucksack der Vergangenheit mit sich herumtragen. Die Akteure in „Krieg“ sind Deutsche, die sich zwischen den historischen Altlasten und dem heraufziehenden Globalisierungszeitalter im permanenten Kampf um Identität befinden – und wenn sie nicht mehr weiter wissen, zischen sie sich immer mal wieder ein kühles Helles rein: „ein Volk, ein Reich, ein Bier!“
Das große Projekt der deutschen Nachkriegszeit, die Gesellschaft im Gegensatz zur Nazi – Barbarei zu formen, wie dies zunächst auf politischer und später durch die Achtzundsechziger auch auf gesellschaftlicher Ebene geschah, hat nun an Kontur verloren. Vor allem die Energie und die Ideale der Revolution – der deutschen Rebellengeneration wie auch der eines Danton – sind inzwischen in einen „Ozean der Melancholie“ gesunken, wo der historische Rationalismus mit den neuen Wertwelten des Umweltschutzes, der Frauenemanzipation, der Metropolen, des technischen Fortschritts oder der Pop-, Massen- und Lustkultur verschwimmt. Und nicht zuletzt treibt die Institution Theater in diesem Hin- und- her- Gewoge richtungslos dahin.
Das gilt in diesem undefinierbaren Heute auch für die auftretenden Personen, die „das Buch der Welt“ nicht mehr lesen können, vielmehr „auf dem Totenschädelgebirge der Zeit“ irgendwohin taumeln. Etwa Frank Wiegard als Stammheimer erscheint schon äußerlich als eine Mischung aus Fidel Castro und Alexander Solscheinzyn. An der Theke hängt Stammheimer mit dem suchenden Schriftsteller Stockhausen (Florian Hertweck), und mit dem zeitgeistigen Heidegger (Benjamin Hille) betreibt er die Agentur RSSS – mit verdächtigem dreifachen S -, die Strategiepapiere an Theater verkauft. Kaum eindeutiger gezeichnet sind die übrigen Rollen, die von Jennifer Sabel, Maria Prüstel, Natanael Lienhard, Paul Grill, Heiner Junghans, Daniel Stock, Klaus Cofalka – Adami und Matthias Rott gespielt werden.
Zwischen Klarheit und Unklarheit tobt Marc Beckers Inszenierung eine schwere Schlacht. So kontrastieren die als Übertitel über der Bühne eingeblendeten Bruchstücke klassisch anmutender Texte merkwürdig mit dem Dauergefasel der desorientierten Stückfiguren, das allerdings immer wieder von disziplinierten chorischen Sprechen durchbrochen wird. Auch das Bühnenbild (Ausstattung: Nadia Fistarol), das zunächst noch Strukturen von antik – luzidem Ebenmaß aufweist, löst sich zunehmend in ein schillerndes Ambiente buntbeliebiger Formen auf, das von dem chaotischen Stimmengewirr erfüllt wird.
In dieser Welt ohne Ecken und Kanten schießt die Theaterachterbahn schließlich ungebremst in den deutschen Zeittunnel des Videokünstlers Thorsten Hallscheidt. Aber der Rausch der Geschwindigkeit tat der Botschaft wie dem Erfolg dieses Abends keinerlei Abbruch, denn er wurde auch schauspielerisch gekonnt und mit viel Situationskomik dargeboten. Und dafür gab es starken Applaus.
Von Heribert Vogt, Rhein- Neckar-Zeitung, 02.Februar 2009
Video zur Aufführung von "Krieg" von Reinald Götz
Video zur Aufführung von "Krieg" von Reinald Götz
Video zur Aufführung von "Krieg" von Reinald Götz