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Sumpf - Nonlineare computergesteuerte Videoinstallation

Diese Videoinstallation zeigt eine kurze Filmsequenz, einen Weg durch einen Moorwald im Frühling. Eine Frauenstimme flüstert. Kröten und Vögel sind zu hören.



Sowohl die Abspielgeschwindigkeit als auch die Abspielrichtung dieses Films werden nach unterschiedlichen Parametern in Echtzeit von einem Computerprogramm errechnet. Zeitweise ist nur die Stimme zu hören, dann wieder ist die Stimme eingebettet in die Umgebungsgeräusche des Waldes. Auch die Dauer und Folge der geschriebenen wie gesprochenen Texte (Text und gesprochenes Wort sind gleichen Inhalts laufen zumeist aber asynchron) sowie der Umweltgeräusche sind rechnergesteuert. Auf diese Weise werden Text, Sound und Bild, Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung immer wieder neu kombiniert. Das Computerprogramm schaltet selbstständig von der Zeitlupe in den Zeitraffer, vom Zeitraffer zum Standbild u.s.w., oder wechselt die Bewegungsrichtung, der Sound wechselt, die Inhalte durchmischen sich. So entstehen unzählige Variationen von Bild, Text und Ton, immer wieder sich verändernde Atmosphären und Bezüge.


Textauszug:

Die Luft ist heiß und feucht, im Sonnenlicht tanzen unzählige Insekten, schwebende Organismen des dritten Planeten, inflationär, redundant, unerheblich - kurzlebige, filigrane Monster, entropisch verspielte Verschwender höherer Ordnung.

Das Sonnenlicht durchdringt mit horizontalen Strahlen das grüngefleckte Dickicht, das sich vor den Augen ausbreitet, sich vor den Augen faltet und kerbt und erstreckt, es wuchert, es wächst vor den Augen, um das Gehirn herum, neben der Hand, rechts und links der Beine, vor dem Geschlecht, neben der Wange und unter den Zähnen: Holunder, Beinwell, Schlangenwurz, Sumpffarm, Schachtelhalm, Gnadenkraut, Grauerle, Spaltgriffel, Wasseraloe, Wasserstern, Vergißmeinnicht, Bitterklee, Münzkraut, Schwanenblume, Blutauge, Kuckucksblume, Fieberklee, Froschbiss, Tausendblatt, Goldkolben, Silberweide, Himbeere, Vogelbeerbaum, Feuerdorn, Birke, Schwarzpappel.

Vom Schweiß angelockt, der überall duftend aus den Millionen Poren der Körperoberfläche dringt, spritzen Stechmückem gerinnunghemmende Mittel in die feinen Blutgefäße knapp unter der Haut zwischen innen und außen, hinter den Fenstern, im Dunkeln, im Temperaturlosen, in der Blindheit warten.

Pollen und Samengefäße an kleinen Rotoren schweben und taumeln langsam durch die dichte, satte Luft zu Boden, zwischen den schon erblühten Schwertlilien schlängeln sich Wasserschlangen lautlos durch das flache Waser.

Das Sonnenlicht ist klar und spielerisch, Blätter werfen im leichten Wind raschelnde und schwankende Schatten wieder auf Blätter, das Licht dämpfend, Stockwerk um Stockwerk die Vegetation hinab bis zur dunklen und spiegelnden Wasseroberfläche des Teiches.

Zwischen den langsam zerfallenden Baumstämmen, die wie große Schlafende zur Seite gedreht im schwarzen Wasser liegen, traumlos, steigen schillernde Gasblasen auf, in dicht gedrängten Archipelen überwuchern Moosinseln die aufgeplatzte Rinde, das Sonnenlicht fällt darauf und das Moos erglüht hell in grünem Kadmium.

Wasserläufer springen über die Oberfläche des Teiches, wie ein leichter Regen, sich ausbreitende, sich überschneidende und vergehende Wellen auf der gespannten Wasserläuferwelt, federnde Horizontale, die sich in der fraktal gefalteten Uferlinie zwischen der Vegetation verliert.

Oben, über den Erlen, Weiden und Pappeln spannt sich der weite, blaue Himmel, die Blätter in der Gipfelregion der Bäume glitzern und leuchten traumhaft und weich und dunkel, dahinter beginnt die Leere, der Abgrund: du lagst in meinem Schatten, mein Duft umfloß Dich, aber du verstandest mich nicht, ich umspiele deine Schläfe mit leichtem Wind, aber du verstandest mich nicht, ich umgoß dich mit glühendem Gold, aber du verstandest mich nicht, zwischendurch - zwischenein - zwischen Zweigen, zwischen schwellenden Blüten schwingen, schlängeln, schlingen wir uns - Schwesterlein - Schwesterlein, schwinge dich im Schimmer - schnell, schnell herauf - herab - Abendsonne schießt Strahlen, zischelt der Abendwind - raschelt der Tau - Blüten singen - rühren wir Zünglein, singen wir mit Blüten und Zweigen - Sterne glänzen bald - müssen herab - zwischendurch, zwischenein schlängeln, schlingen, schwingen wir uns, Schwesterlein.


Thorsten Hallscheidt - Konzeption, Film, Text
Ondina Dietz - Sprecherin
Chandrasekhar Ramakrishnan -Programmierung